Nach der Teilnahme an zwei Wahlbeobachtungsmissionen im Rahmen der OSZE erklärt der Bundestagsabgeordnete der Kasseler Grünen:
„Es ist bitter für die Menschen in der Türkei, die erneut mit über 80% am zweiten Wahlgang teilgenommen haben: Aber faire und freie Wahlen fanden in der Türkei nicht statt. Jeder echte Wettbewerb lebt von gleichen Bedingungen für alle Kandidat*innen. Chancengleichheit wurde jedoch von Amtsinhaber Erdogan und der Regierung außer Kraft gesetzt.
So ist die mediale Berichterstattung über die Kandidaten und Parteien sehr stark zum Vorteil des Amtsinhabers verlaufen. Neben der absoluten Menge an Sendezeit, die Herr Erdogan für sich beanspruchen nehmen konnte, war diese Verzerrung zusätzlich durch die Qualität der Berichterstattung verstärkt. Positive und ausführliche Berichterstattung für die amtierende Regierung, gegenüber deutlicher kritischer und kürzerer Kommentierung für die Opposition und Kemal Kilicdaroglu. Ein gefälschtes Video, das in der Woche vor der Wahl öffentlich kommentiert wurde, brachte den Herausforderer zusätzlich in Verruf. Ein Glückwunsch zur Wahl fällt somit schwer, weil es eben kein fairer Wettbewerb war und damit diese Wahlen kein Gewinn für das Land sind.
Wahlen sind nicht frei, wenn Medien im Interesse eines Kandidaten handeln, Wahlen sind nicht demokratisch, wenn Gerichte Personen verhaften und nicht zu Wahlen zulassen. Die Berichte zu den Wahlbeobachtungen der OSZE und des Europarates sind Zeugnis, mit welchen strukturellen Schwächen die Türkei diese Wahlen durchgeführt hat.
Politische Inhaftierungen bleiben auch jenseits der Wahlen falsch. Der HDP-Politiker Selahattin Demirtas, der Medienunternehmer Osman Kavala und viele andere politische Gefangene sind unverzüglich freizulassen. Der Europarat wird in diesen Forderungen nicht nachlassen und die Republik Türkei weiter auffordern, zu den Grundfesten von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zurückzukehren.“
Auch die staatlichen Behörden konnten wenig zu einem positiven Bild beitragen. Die staatliche Wahlbehörde hatte sich den Fragen der internationalen Wahlbeobachter*innen erst zur Stichwahl gestellt. Der Medienrat war in der Befragung mehrfach den offenen Punkten ausgewichen. Die Türkei taumelt am Rande des demokratischen Scheins. Auch wenn positiv zu vermerken bleibt, dass die Wahlen selbst technisch gut organisiert und von Menschen mit hoher Beteiligung angenommen wurden. Leider waren die demokratischen Fehltritte jedoch viel früher erfolgt.